Die Scottish Premiership 19/20: Eine Tragikomödie

Spielbetrieb

Cancelled!

»Wär‘s abgetan, so wie‘s getan ist, dann wär‘s gut, man tät‘ es eilig« denkt sich Macbeth in Shakepeares gleichnamiger Tragödie angesichts seines Plans, den König von Schottland zu beseitigen und selbst seinen Posten zu übernehmen. Ob man sich in der Führung des schottischen Ligaverbandes ähnliche Gedanken machte ist nicht überliefert. Tatsache ist jedoch, dass sich die SPFL nach dem Lahmlegen des Fußballs durch die Corona-Krise mit einer erstaunlichen Eile daran machte, die professionellen Ligen Schottlands abzubrechen. Was dazu führte, dass die schottische Liga als eine der wenigen höchsten Spielklassen Europas unter höchst zweifelhaften Umständen, die auch heute (3 Monate später!) noch nicht ausgestanden sind, ein vorzeitiges Ende fand…

Dieses kleine Blog ist bekanntlich dem schottischen Fußball traditionell verbunden. Deshalb werfen wir heute zunächst einen Blick auf das vorzeitige Ende der Saison 19/20 und vergleichen den Abbruch-Endstand mit unserer Prognose vom Saisonstart. In einem weiteren Beitrag werden wir, rechtzeitig vor dem geplanten Saisonstart am ersten August-Wochenende, den obligatorischen Ausblick auf die kommende Spielzeit 2020/21 werfen…

Der Saisonabbruch, oder: Eine schottische Tragi-Komödie

(Photo by Matt Riches on Unsplash, thanx!)

Prolog: Die Corona-Krise

Die kleinen Profiligen Europas sind von der Corona-Krise noch stärker betroffen als die großen. Denn Bundesliga, Premier League und Co. verfügen wenigstens über üppige TV-Verträge, deren Erfüllung durch Geisterspiele die Einnahmeausfälle einigermaßen verkraftbar macht. Die Klubs der ersten schottischen Liga erzielen aber in Ermangelung selbiger gut 43 % ihrer Einnahmen durch Ticketverkäufe. Zum Vergleich: Der diesbezügliche europäische Durchschnitt aller ersten Ligen liegt bei 15 %!

Die Profi-Klubs hatten also wg. Corona keine Einnahmen mehr und brauchten dringend Geld. Der schottische Ligaverband SPFL suchte einen Ausweg und beschloss, eine Abstimmung über den Abbruch der Saison ab 2. Liga abwärts einzuleiten, sowie das vorzeitige Ende der 1. Liga vorzubereiten. Nach dem Feststehen der Endplatzierung wollte man dann die Saison-Prämiengelder an die Vereine ausschütten. Eine andere Lösung gäbe es nicht, und ohne ein Ende der Ligen könne man leider auch keinen Penny auszahlen, hieß es aus dem Hauptquartier in Hampden Park…

Werten wollte man die Ligen über eine Quotientenregel, wie sie auch im deutschen Regional- und Lokalfußball von Regionalliga abwärts verwendet wurde. Die Besonderheit dabei: Man wollte auch die Tabellenletzten per Quotientenregel absteigen lassen. Etwas, das man aus gutem Grund fast nirgendwo (außer in Schottland nur noch in Frankreich und Belgien) gemacht hat. Denn damit ist Ärger vorprogrammiert. Welcher Klub akzeptiert schon klaglos einen Abstieg, wenn er sportlich gar nicht abgestiegen ist?

1. Akt: Die Abstimmung über das Saisonende

Der schottische professionelle Fußball, der im Ligaverband SPFL organisiert ist, besteht aus 4 Ligen: Die erste Liga ist die Premiership mit 12 Klubs, die weiteren Spielklasse 2 bis 4 (Championship, League One, League Two) spielen mit je 10 Vereinen.

Um die Abstimmung durchzuführen, hatte sich die SPFL einen abgefahrenen Modus ausgedacht: 10 von 12 Premiership-Klubs mussten dem Saisonabbruch zustimmen, 8 von 10 aus der zweitklassigen Championship und insgesamt 15 aus den beiden anderen Spielklassen League One und League Two (je 10 Teams)…

Bis Karfreitag 17:00 sollten alle ihre Stimme abgegeben haben. Hatten dann auch alle, außer Zweitligist FC Dundee. Das Problem dabei: Das als Zwischenergebnis veröffentlichte (!) Gesamtergebnis hing an dieser Stimme, denn in der Championship hatten nur 7 Klubs zugestimmt. Dundee FC gab an, mit No abgestimmt zu haben (was auf Twitter geleakt wurde), womit der Beschluss zur Beendigung der Saison wg. der einen fehlenden Stimme in der Championship abgelehnt gewesen wäre. Die SPFL sagte aber »das haben wir nicht bekommen« (später hieß es, die E-Mail wäre im Spamfilter hängen geblieben, das sage ich auch immer…) und Dundee antwortete mit »gut, dann stimmen wir jetzt erst mal nicht ab«…

2. Akt: Aus »Nein« wird »Ja«…

Das Hin- und Her um die »offiziell« fehlende ignorierte »Nein«-Stimme zog sich fünf Tage hin. Dann gab Dundee FC erneut die Stimme ab und alle staunten ob des Resultats wie die Kinder im Kasperletheater: Denn auf wundersame Weise hatte sich Dundees »Nein« innerhalb von fünf Tagen in ein »Ja« verwandelt! In einem länglichen Statement versuchte sich Dundees Führung dafür zu rechtfertigen, ohne dass das sonderlich plausibel klang. Man kann davon ausgehen, dass hinter den Kulissen reichlich Druck ausgeübt wurde (»Ohne Abbruch kein Geld, wollt Ihr schuld sein wenn nächsten Monat 20 Klubs bankrott sind?«), dem die Vereinsführung letztendlich nachgegeben hat.

Das Ergebnis: Die Championship, League 1 und League 2 wurden abgebrochen, Auf- und Abstieg nach Quotient geregelt, und die Gelder ausgezahlt.

Damit waren Dundee United (Championship), Raith Rovers (League One) und Cove Rangers (League Two) als »Quotientenmeister« in die nächsthöhere Liga aufgestiegen. Das ist natürlich auch zweifelhaft, aber noch so gerade akzeptabel. Schlimmer dran waren Partick Thistle (Championship) und Stranraer (League One). Denn sie mussten absteigen, obwohl sie sportlich (noch) nicht abgestiegen waren. Im Falle von Partick Thistle war der Quotient nur schlechter, weil sie wg. eines durch Regenwetter ausgefallenen Spiels ein Match weniger hatten als der Vorletzte…

3. Akt: Eine fehlgeschlagene Neuorganisation und Grabenkämpfe

Mit der Entscheidung waren die Diskussionen noch lange nicht beendet. Gemäß der alten Weisheit »Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man ‘nen Arbeitskreis!« wurde unter Führung der Hearts (denen bei Abbruch der Premiership das selbe Schicksal wie Partick Thistle dräute) ein Plan für die Umwandlung der 4 Ligen in ein System mit drei Ligen à 14 Teams ausgearbeitet. Das wurde im Mai ebenso abgelehnt wie ein weiterer Vorschlag im Juni für ein viergliedriges 14-10-10-10-System, dass die um ihre Aufstiegschance betrogenen Sieger der Highland- und Lowland-League mit eingeschlossen hätte.

Zwischenzeitlich gab es noch die Ankündigung der New Rangers, dass sie Beweise für ein Fehlverhalten der SPFL bei der Abstimmung (s.o., No wurde Yes…) hätten. Diese wollten sie einer offiziellen Untersuchung zur Verfügung stellen. Darüber gab es am 12. Mai eine weitere Abstimmung, bei der sich aber nur 13 der 42 Klubs für die Untersuchung aussprachen. Was nicht weiter erstaunlich ist. Rangers haben wenig Freunde bei anderen Klubs, und im schottischen Fußball ist die Frage, wer etwas vorbringt, fast so wichtig wie die Frage, was vorgebracht wird…

4. Akt: Saisonende in der Premiership

Was die Rangers verhindern wollten lag auf der Hand: Den Abbruch der Premiership und den damit verbundenen »9 in a Row«-Meistertitel von Celtic. Das nützte aber nix, denn nachdem von der UEFA grünes Licht kam, wurde die Saison 19/20 am 18. Mai auch in der Premiership beendet. Celtic wurde zum »Quotientenmeister« erklärt und Hearts zum »Quotientenabsteiger«.

Corona hin oder her, das ist eine sportlich höchst zweifelhafte Lösung, die es so in Europa lediglich noch in Belgien und Frankreich gab. Eine gemeinsame Anstrengung zur finanziellen und sportlichen Rettung der Saison, wie es der DFL oder La Liga gelang, ist in Schottland offensichtlich weder erwünscht noch möglich. Dazu sind die Egoismen und die Feindschaften zwischen den »Lagern« zu groß…

Celtic hatte 13 Punkte Vorsprung und wäre höchstwahrscheinlich sowieso Meister geworden, aber »höchstwahrscheinlich« ist nicht »definitiv«. Konjunktive gewinnen keine Titel. So sind die Grün-Weißen aus dem Osten Glasgows nun gemeinsam mit Club Brügge und PSG eines von drei europäischen Erstligateams, dass sich Meister nennen darf, ohne den Titel auf dem Platz errungen zu haben…

Epilog: Juristen haben das Wort, Ende offen…

Natürlich war mit der Abbruch-Entscheidung die Auseinandersetzung noch immer nicht vorbei. Wie in Frankreich und Belgien zogen die Quotienten-Absteiger vor »ordentliche« Gerichte. Während in den anderen beiden Ländern die Abstiegsregelung bereits von den Gerichten kassiert wurde, gab das zuständige schottische Gericht die Entscheidung an den Fußball zurück. Deshalb wird in den nächsten Wochen ein vom schottischen Fußballverband SFA einberufenes Verbandsgericht (immerhin »richtige« Juristen und keine Verbandsfunktionäre) über die Klagen der Quotienten-Absteiger entscheiden. Und da am ersten Augustwochenende bereits die Saison 20/21 starten soll, könnte eine Entscheidung dieses Berufungsgerichts nicht nur die Quotenwertung der Saison 19/20 zerschmettern, sondern die Pläne für den Saisonstart 20/21 gleich mit. Im schottischen Fußball ist nichts unmöglich…

Premiership 19/20: Prognose und Realität

Das war eine lange Geschichte. So wie das abgelaufen ist, ist man versucht zu sagen: Sowas gibt es »only in Scotland…«.

Da wir nun eine Quotienten-Endtabelle nach nicht einmal 75 % aller Spiele haben, vergleichen wir diesen Quotienten-Endstand mit der fachmännischen Prognose aus der Saisonvorschau vom letzten Sommer.

Die folgende Tabelle zeigt den Endstand, in den Spalten dahinter der prognostizierte Rang und zum Vergleich der Tabellenplatz aus der Vor-Saison 18/19:

Pos. Team Tore Punkte Prognose 18/19
1. Celtic +70 80 1. 1.
2. The New Rangers +45 67 2. 2.
3. Motherwell +3 46 5. 8.
4. Aberdeen +4 45 3. 4.
5. Livingston FC +2 39 11. 9.
6. St. Johnstone -18 36 8. 7.
7. Hibernian -7 37 4. 5.
8. Kilmarnock -10 33 7. 3.
9. St. Mirren -17 29 12. 11.
10. Ross County -31 29 9. Auf.
11. Hamilton Accies -20 27 10. 10.
12. Hearts -21 23 6. 6.

Wenig überraschend ging die Meisterschaft zum neunten Mal hintereinander an Celtic, um das Vorherzusagen musste man nicht Nostradamus sein. Dabei sah es am Jahresende 2019 (wie im Jahr zuvor), nach dem 2:1-Sieg der New Rangers bei Celtic, durchaus nach einem engen Meisterschaftsrennen aus. Die Blauen lagen nur 2 Punkte (mit einem Spiel weniger) hinter Celtic. Ebenfalls wie im Jahr zuvor kehrte Steven Gerrards Truppe aber mit einer miserablen Form aus der kurzen Winterpause zurück und verlor in den verbleibenden acht Matches bis zur Corona-Krise satte 11 Punkte auf den Konkurrenten in Grün, während sich Neil Lennons Team keine Blöße mehr gab und von Sieg zu Sieg eilte. Deshalb wurde es, wie vorhergesagt, auch 2019 nur Rang 2 für die Wiedergeborenen aus Govan…

Überraschend kommt der dritte Platz für Motherwell. Die Truppe von Steve Robinson spielte eine sehr gute Saison und verdrängte den »Seriendritten« aus Aberdeen auf Rang 4. Wobei das Rennen um Rang 3 natürlich noch lange nicht entschieden war, ein Viertel der Saison war ja noch zu spielen…

Die meisten Prognosen liegen beim Endergebnis im Rahmen der »Streungsbreite«. Richtig daneben lag die Vorhersage nur bei Livingston. Das Team aus der Schlafstadt vor den Toren Edinburghs landete auf einem starken fünften Platz. Getippt hatten wir die »Lions« auf den vorletzten Rang 11…

Ähnlich daneben lag die Prognose bei den beiden Teams aus der Hauptstadt Edinburgh, nur in die andere Richtung. Während Hibernian mit Rang 7 zwar schwächer als erwartet (Rang 3), aber noch im akzeptablen Rahmen abschnitt, spielte Lokalrivale Hearts eine Katastrophensaison die, s.o., im »Quotientenabstieg« endete. Im Oktober hatten sich Hearts endlich vom »schottischen Hecking« Craig Levein getrennt und ihn nach einer einmonatigen Trainersuche durch den deutschen Daniel Stendel ersetzt. Dieser krempelte in der Winterpause den von Levein katastrophal zusammengestellten Kader um und das Spiel der Hearts sah danach deutlich besser aus. Bevor sich das aber in Form von Punkten auszahlen konnte, war die Saison wg. Corona auch schon wieder vorbei, Hearts zum Abstieg am Grünen Tisch verdammt und Daniel Stendel seinen Job in Schottland wieder los. Ex-Trainer Robbie Neilson, der in der abgelaufenen Saison Dundee United zurück in die Erstklassigkeit führte, wird Stendels Nachfolger…

Korrekt war auch die Prognose über den ewigen Abstiegskandidaten Nummer 1, den Accies aus Hamilton. Diese blieben auch 2020 in der Liga. Da sich Hearts unter Stendel aber wahrscheinlich verbessert hätten, haben die Accies das wohl nicht zuletzt dem Corona-Saisonabbruch zu verdanken…

Und nun?

Die Teams befinden sich aktuell in der Saison-Vorbereitung und die Spielzeit 20/21 soll am ersten August-Wochenende starten. Was, wie erwähnt, mit einer gewissen Unsicherheit verbunden ist. Wenn man bedenkt, mit was für einer Eile die Saison im April abgebrochen wurde und dass wir drei Monate später immer noch keine endgültige Klarheit haben, sieht man, was für ein »Epic Fail« das alles war…

Wir werden sehen, was die Richter beim Verbandsgericht entscheiden. Am gestrigen Freitag haben sie immerhin schon mal damit begonnen, Beweismittel zu sichten