Die virulente Fußballpause: Wir sind zu cool, um Fußball zu vermissen…
Der Frühling ist da! Das saftige Sportplatz-Grün (wie auf dem Bild bei der Karlsruher SpVgg Olympia Hertha) wartet in der wärmenden Sonne darauf, bespielt zu werden. Aber kein Ball rollt, nirgends, und das jetzt schon über einen Monat lang. Aber egal wie viel man jammert, daran wird sich so schnell nix ändern. Und schon der alte Grieche Euripides fragte: »Doch was gewinnst du, wenn du ewig klagen willst?«
Also Schluss damit! Damit das Blog ohne Spiele nicht vereinsamt, gibt es nun regelmäßig-unregelmäßig in der neuen Reihe »Die virulente Fußballpause« ein paar Worte und Links zum aktuell nur theoretisch-retrospektiv stattfindenden Fußballgeschehen…
(Dieser Artikel tauchte durch ein Versehen schon halb fertig auf der Website und im Feed auf, Pardon!)
Virulente Zeiten
Das vom Wort »Virus« kommende Adjektiv »virulent« hat zwei Bedeutungen, die zur aktuellen Lage des Fußballs gut passen:
- »ansteckend«
- »in Unruhe, in Aufruhr befindlich«
Wie viele Unternehmungen, die wg. der Corona-Maßnahmen ihr Produkt nicht an die Kundschaft bringen können, steckt auch der Profi-Fußball die ausbleibenden Einnahmen nicht »einfach so« weg. Diverse Vereine sind ohne Spiele in virulenter Insolvenz-Gefahr, allen voran natürlich die örtlichen Helden vom KSC…
Verständlich, dass sich die Liga, wie jede andere aktuell lahmgelegte Branche auch, darum kümmern muss, die Produktion wieder in Gang zu bringen. Die grassierende Ablehnung darauf überrascht einerseits, aber andererseits auch nicht, denn in vielen Reaktionen vermischt sich die aktuelle Corona-Lage mit der unter Fußballfans und -autoren populären Fußballkulturpessimismus-Attitüde (»geht doch nur noch ums Geld, sollen sie halt den Scheiß-Millionären und ihren Beratern nicht solche Gehälter zahlen!1!11!!!«)…
Da heißt es, es gäbe derzeit Wichtigeres. Das ist wahr, aber das gibt es eigentlich immer. Und der Profifußball würde eine Sonderstellung beanspruchen. Das kann ich nicht erkennen, vielmehr erscheinen die Planungen im Rahmen des aktuell Machbaren ebenso defensiv wie durchdacht. Da kann man für einmal Max Eberl voll und ganz zustimmen (Interview bei borussia.de):
»Wir Fußballer haben und verlangen keine Ausnahmestellung – und haben auch nicht das Recht, eine Sonderstellung zu fordern. Wir tun lediglich das, was alle anderen Unternehmen auch machen: Uns professionell auf den Tag X vorbereiten. Irgendwann werden wieder ein Stück weit in die Normalität zurückkehren. Darauf bereiten wir uns vor, ohne dabei ein konkretes Datum zu nennen.«
Was sollen die DFL- und Vereinsverantwortlichen auch anderes machen? Sich zurücklehnen, mit einem Virologen-Podcast auf den Ohren »es gibt derzeit Wichtigeres« vor sich hin murmeln und darauf warten, dass Verein um Verein in finanzielle Schwierigkeiten gerät?
Wir sind zu cool, um Fußball zu vermissen…
Verehrte Leserin oder Leser, möchtest Du zu den fußballromantischen »Coolen« des Social-Media- und Alt-Medien-Fußball-Diskurses in Corona-Lockdown-Zeiten gehören?
Dann musst Du mehr oder weniger dezent anklingen lassen, dass Du den Fußball ja eigentlich so gar nicht vermisst. Ganz vorne dabei ist diesbezüglich natürlich 11 Freunde: »Endstation Sehnsucht«. Man lässt cool den modischen Fußballkulturpessimismus raushängen (»Keine Sorge, jetzt folgt keine große Kapitialismuskritik des modernen Fußball, denn das ist ja eh klar.« Klar!), produziert sich selbst als angemessen verantwortungsvoll-besorgten Bürger (»Und natürlich gibt es gerade jetzt absolut wichtigere Dinge als Sport im Allgemeinen«) und führt dann überaus ironisch-humorvoll aus, wie wenig einem der Fußball doch fehlt, weil er sowieso so »schlimm« ist…
Wetten, dass der 11-Freunde-Autor und alle anderen verkündigungsfreudigen Menschen auf Twitter und Co. vor dem Bewegtbildendgerät sitzen werden, sobald auch nur ein Geisterspiel der Kategorie Augsburg vs Wolfsburg zu sehen sein wird?
Ich natürlich auch. Aber ich gehöre ja auch nicht zu den »Coolen«… 😀
Lesestoff
Da es aber vorerst keinen Fußball zu sehen gibt, müssen wir halt drüber lesen. Hier ist eine Auswahl von lesenswerten Texten, die mir in den letzten Tagen via Twitter und Co. zugeflogen sind. Dass die meisten guten Texte auf Englisch sind, mag eine Hürde sein, aber man kann schließlich nicht den lieben langen Tag das für das deutschsprachige Schreiben über Fußball so typische »kritische Anti-Alles-Geschwurbel« lesen:
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Hay Liga: »Athletic Bilbao leading the way as usual.« Hay Liga führt aus, wieso der Athletic Club aus Bilbao für die Corona-Krise bestens gerüstet ist.
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Copa 90: »Real Sociedad: The People‘s Champion«. Athletic Clubs großer baskischer Konkurrent Real Sociedad schwimmt auf einer Welle des Erfolgs und begeistert Fans in nah und fern mit seinem feinen Fußball. Euan McTear beleuchtet die Hintergründe des Erfolgs.
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Fútbol es la leche: »You will see me at Atocha, applauding la Real« – Juan Alcorta, the man who said no to ETA. Eine Zeitreise in das Baskenland Anfang der 80er-Jahre, als die ETA ihren blutigen »Unabhängigkeitskampf« durch bei Geschäftsleuten eingetriebene »Revolutionssteuern« (in Mafia-Filmen nennt man das »Schutzgeld«) finanzierte. Der erfolgreiche Geschäftsmann Juan Alcorta wollte aber nicht zahlen und sah auch keinen Grund, sich zu verstecken. Vielmehr saß er, für jeden deutlich sichtbar, im Atocha und schaute Spiele seines Lieblingsklubs Real Sociedad…
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African Football HQ: »From playing against Juventus to being a prisoner of war: The story of Gaddafi’s footballing son.«. Al-Saadi Gaddafi, der dritte Sohn des ehemaligen libyschen Revolutionsführers bzw. Diktators (je nach Sichtweise) Muammar Gaddafi, war bekanntlich aktiver Fußballer und hatte sogar Gastspiele in der italienischen Serie A…
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The Blizzard: »Unexpected Relegations«. Der Blizzard stellt eine Reihe von Vereinen vor, die überraschend absteigen mussten. Überraschend deshalb, weil sie eigentlich für »zu groß und zu gut« dafür gehalten wurden…
Vor ein paar Tagen, am 6.4.20, starb Radomir Antić, jugoslawischer (serbischer) Spieler und Trainer, der in der Saison 1995/96 Trainer unserer Lieblingsspanier Atlético Madrid war und das Double aus La Liga und Copa Del Rey gewann. Außerdem war Antić der einzige Trainer, der Atléti, Real Madrid und den FC Barcelona trainierte. »These Football Times« hat 2018 ein schönes Porträt geschrieben:
Fußballer, die Corona heißen
Auch wenn die Zeiten hart sind: ein bisschen Spaß muss sein. Deshalb soll zum Abschluss jeder »virulenten Fußballpause« kurz ein Spieler vorgestellt werden, der »Corona« heißt.
Den Anfang macht der wohl bekannteste Träger dieses Namens: Der Mexikaner Jesús Corona, genannt »El Tecatito«, der beim FC Porto die rechte Außenbahn beackert. Und das durchaus kunstfertig, wie sein Youtube-Highlight-Video zeigt. Was ihn im auch in diesem Jahr irgendwann einsetzenden Transfer-Sommer/-Herbst zu einem begehrten Objekt macht. Angeblich soll auch Schalke 04 Interesse haben…
Jesús Corona begann seine Karriere bei Monterrey in Mexiko, wo er auch seinen Spitznamen »El Tecatito« bekam. Denn der Hauptsponsor von Monterrey war eine Brauerei, die ein Bier namens »Tecate« auf dem Trikot bewarb, und das bekannte mexikanische Bier »Corona« die Hauptkonkurrenzmarke. Deshalb wurde nie sein Nachname auf das Trikot geflockt, sondern er spielte nur als »Jesús C«. Mit seinem Namen war also schon immer etwas, lange bevor das Virus auf der Bildfläche erschien…
2013 zog es Corona nach Europa, zunächst zu Twente Enschede. Nach zwei Jahren Eredivisie hatte sich El Tecatitos Marktwert verdreifacht und er wechselte 2015 zum FC Porto, wo er aktuell Stammspieler ist. Neben seiner Hauptposition, der rechten Außenbahn, kann der vielseitige Rechtsfuß auch auf der linken Seite oder als Außenverteidiger eingesetzt werden. Mal schauen, in welchem Trikot er nächste Saison aufläuft und was auf dem Rücken stehen wird…