Neues aus Schottland #20: Wenn die Kelpies heiser wiehern…
Das 2:2 im WM-Quali-Spiel zwischen Schottland und England hatte leise Hoffnungen geweckt, dass der schottische Fußball sich langsam aus seinem internationalen Abwärtstrend befreien kann. Aber die Saison hat noch nicht einmal richtig begonnen, da haben sich in der ersten Runde der Europa-League-Quali mit den New Rangers und dem FC St. Johnstone bereits 50% der potenziellen schottischen Teilnehmer aus Europa verabschiedet…
Rangers-Debakel gegen Progres Niederkorn
Die neuen Rangers aus dem blauen Teil Glasgows sind ein sehr spezieller Fall. Trotz Bankrott, Auflösung, Neugründung, Trainerwechsel, einem wenig überzeugenden Start von Neu-Trainer Pedro Caixinha und einem tabellarischen Rückstand auf Celtic von 39 Punkten in der vorigen Saison sehen sie sich in ihrer eigenen Wahrnehmung als »natural born scottish champion«. »Demut« ist ein Konzept, dass ihnen vollständig fremd ist.
Der Rangers-Vorsitzende Dave King amüsierte entsprechend die schottische Fußballszene mit der kruden These, dass Celtic nicht sechs Meisterschaften hintereinander gewonnen habe, sondern nur »two in a row«. Denn schließlich sei eine Meisterschaft ohne Rangers nichts wert. Und bekanntlich waren Rangers 5 Jahre abwesend wg. des Bankrotts und einer fünfjährigen Tour durch die unteren Ligen…
Trainer Caixinha kaufte für 10 Mio Pfund in aller Welt Spieler ein. Er ließ zur Motivation das Rangers-Fan-Motto »We are the people« (ein »sektiererischer« Kampfslogan des protestantisch-königsloyalen Schottland) an die Wände der Kabine in Ibrox malen. Und verbot seinen Spielern, grüne Fußballschuhe zu tragen, denn Grün ist »the colour of celtic«…
Der Mund wurde also voll genommen, man beschäftigte sich mehr mit Celtic statt mit der Entwicklung einer Mannschaft, die ja zunächst einmal Vize-Meister Aberdeen hinter sich lassen müsste, um überhaupt an Celtic denken zu können. »Haud yer wheesht!« wollte man ihnen auf gut schottisch zurufen. Doch dann schlug die Realität auf dem Rasen zu. In Form des Tabellenvierten der luxemburgischen Liga, den »Feierabendkickern« vom FC Progrès Niederkorn…
Das Hinspiel war schon eine bescheidene Vorstellung, Rangers gewannen 1:0 durch ein Tor des 37-jährigen Kenny Miller. 1:0 war als Polster etwas dünn, aber rund um Ibrox ging man von einem hohen Sieg im Rückspiel in Luxemburg aus…
Stattdessen flogen die New Rangers in der peinlichsten Vorstellung der schottischen Europapokalgeschichte sang- und klanglos mit 0:2 bei Progrés raus. Man muss sich das vorstellen, Progrés hatte in 13 EL-Qualispielen 13-mal verloren, ein einziges Tor geschossen und 41 kassiert. Und dann gewinnen sie 2:0 gegen Rangers und ziehen in die zweite Runde…
Besonders beeindruckend: Rangers waren nicht in der Lage, gegen die Luxemburger ein organisiertes Angriffsspiel aufzuziehen. Sie trafen zwar dreimal die Latte, aber immer aus Standards und Einzelaktionen.
Entsprechend hämisch waren die Reaktionen aus dem grünen Teil Glasgows, vielfältige Variationen von »Rangers are making Progrés« waren in Social Media zu lesen. Und Trainer Caixinha steht schon unter Druck, bevor die Saison überhaupt richtig begonnen hat. Selbst der durchaus Rangers-freundliche Daily-Record-Pundit Keith Jackson sieht Caixinha »one more humiliation away from the sack«. Prognose: Pedro Caixinha wird die Saison nicht als Rangers-Trainer beenden…
FC St. Johnstone macht das Desaster komplett
Der Tabellenvierte FC St. Johnstone zog nach und machte das totale schottische Debakel in der ersten Runde der EL-Qualifikation komplett. Gegen den litauischen(!) Vertreter FK Trakai verloren die Saints das Hinspiel zu Hause mit 1:2. Im heutigen Rückspiel setzten sie noch einen drauf und verloren 0:1. Und das in Überzahl, Trakai spielte über eine halbe Stunde nach einer Roten Karte mit 10 Mann…
Dadurch haben sich bereits zwei der vier potenziellen Europapokalteilnehmer aus der schottischen Premiership verabschiedet. In vier Spielen, gegen Teams aus Luxemburg und Litauen, gelangen gerade mal 2 Törchen und derer 5 wurden kassiert. Nicht gerade ein Ruhmesblatt für den stolzen schottischen Fußball, die Kelpies wiehern heiser vor sich hin…
Next: Aberdeen und Celtic
Als nächstes hat Vizemeister Aberdeen die Aufgabe, es besser zu machen. Sie steigen in der zweiten Runde ein, gegen den bosnischen Klub NK Siroki Brijeg.
Und natürlich Meister Celtic, der gegen den nordirischen Klub Linfield antreten muss. Was dann wg. der Oranier-Märsche am 12. Juli zu einem Politikum wurde.
Am 12. Juli laufen die protestantischen Loyalisten durch die Straßen von Belfast, singen Lieder über das Abschlachten von Iren und verbrennen Puppen vom Papst. Und genau aus diesem Milieu rekrutiert sich die etwas seltsam anmutende Anhängerschaft Linfields. Was dann in einer Begegnung mit dem aus dem Viertel irischer Einwanderer in Glasgow stammenden Celtic, über dessen Stadion stets eine irische Flagge weht (und kein Union Jack), zu Ärger führen könnte. Wg. der Oranier-Märsche wurde die Partie auf den 14. Juli verlegt, und Celtic verkauft keine Gästetickets für das Spiel. Die blutige Vergangenheit Nordirlands ist auch 2017 noch stets präsent, und wenn es nur um ein Fußballspiel geht…
Für das »Standing« des schottischen Fußballs wäre es gut, wenn wenigstens Aberdeen und Celtic die Gruppenphase der EL bzw. der CL erreichen würden. Sonst hören die Kelpies (siehe Bild oben) ob der schottischen Europapokalperformance gar nicht mehr auf, heiser vor sich hin zu wiehern…