Neues aus Schottland #16: Ian Cathro, der »schottische Nagelsmann«

Spielbetrieb

Tynecastle-Stadium, Heart of Midlothian, Edinburgh

Einen leicht reaktionären »Mehmet-Scholl-Laptoptrainer-Diskurs« hat auch Schottland zu bieten. Dort muss ein Erstligatrainer ein »Proper football man« sein, also ein »richtiger ganzer Fußball-Mann«, der selbstverständlich selbst als Profi gespielt haben muss. Umso erstaunter und entsprechend skeptisch waren die Reaktionen, als Erstligist Heart Of Midlothian Ende 2016 als Ersatz für den Richtung England abgewanderten Cheftrainer Robbie Neilson mit dem erst 30-jährigen Ian Cathro einen Vertreter jener »Generation Laptoptrainer« berief, die selber nie höherklassig Fußball gespielt haben…

Ian Cathro, der »schottische Nagelsmann«

Der Aufstiegstrainer der Hearts, Robbie Neilson, trotz aller Erfolge nie ganz unumstritten, wechselte im November 2016 nach England zum in der dortigen dritten Liga kickenden Retortenklub Milton Keynes Dons.

Mit Neilsons Nachfolger, dem erst 30 Jahre alten Ian Cathro, Co-Trainer von Rafa Benitez bei Newcastle United, kam erstmals ein junger »Laptoptrainer« im schottischen Erstligafußball in die Verantwortung. Cathro gilt als eine Art »schottischer Nagelsmann«. Wie viele der heutigen jungen Trainer war er nie Spieler auf Topniveau, sondern arbeitete schon früh als Trainer im Jugendbereich und erwies sich als offen für neue Trainingsmethoden und Technik. Als Co-Trainer war er bei Rio Ave in Portugal, bei Valencia in Spanien und, wie erwähnt, in Newcastle in England im Einsatz.

Ein Trainer, der nicht aus den Reihen der üblichen Verdächtigen im schottischen Fußball kommt, also kein »Proper football man« ist – das erweckt Argwohn. Die »Pundits« (Kolumnisten) drückten ihre Skepsis aus, allen voran der notorische Kris Boyd (eigentlich im Hauptberuf noch aktiver Fußballer bei Kilmarnock) im schottischen Ableger des Revolverblatts »The Sun«, Zitat:

»He’s one of the up-and-coming, modern-era coaches who can organise a session just by flicking open his laptop.There isn’t a session out there he couldn’t get on to his Macbook. But setting up a presentation to a group of players is all well and good.That does not require man management skills, which is part of the game he knows absolutely nothing about.«

Die Reaktion von Boyd und Co. auf Cathro war Wasser auf den Mühlen der englischen Presse, die, wie z.B. der Guardian, konstatiert: »Ian Cathro debate shows Scottish football is still in the dark age«, Zitat:

»This willingness to lacerate a young, innovative coach before he has even been pictured with a scarf above his head is one thing. (…) More serious is the ignorance with which Cathro has been treated. It is endemic of the attitude which holds Scotland back. The country appears petty and parochial, as if it wants this outsider – Scottish himself, remember – to fail. «

Der Telegraph machte sich darüber ordentlich lustig und veröffentlichte einen Artikel mit dem klangvollen Titel: »Why appointment of Ian Cathro at Hearts has inadvertently condemned all humans to extinction«

Die Wahrheit liegt auf dem Platz

Die Wahrheit liegt natürlich auf dem Platz, nicht in den Blättern. Cathros Start war zäh, gleich im ersten Spiel setzte es eine 0:2 Auswärtsniederlage bei den New Rangers. Es folgten mit einem 1:1 bei Partick Thistle und einer 2:3 Niederlage beim FC Dundee zwei weitere sieglose Spiele.

Das erste Erfolgserlebnis gab es dann kurz nach Weihnachten mit einem glorreichen 4:0 über Kilmarnock:

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Lustigerweise spielte Kilmarnock mit eben jenem Laptoptrainer-skeptischen Pundit (s.o.) Kris Boyd, dem nichts gelang und der, von entsprechendem Spottgesang aus dem Publikum begleitet (»you're getting fucked by a laptop«), in der 56. Minute ausgewechselt wurde…

Ian Cathro steht für jene taktische Variabilität, die man den »Laptoptrainern« gerne nachsagt. Sein Team soll einen »modernen« ballbesitzorientierten Fußball mit einem ausgeprägten Passspiel spielen. Was dann mit dem »typisch schottischen« Stil (Rennen, Ball nach vorne treiben und dann hoch in den Strafraum geben), wie ihn bspw. die New Rangers praktizieren, nicht mehr viel zu tun hat. Die personellen Möglichkeiten eines Trainers in Schottland sind natürlich bescheidener als jene eines Bundesliga-Kollegen, die Vorstellungen müssen deshalb mit preiswerteren Spielern realisiert werden.

Zu diesem Zweck gab es mit dem Trainerwechsel in der Wintertransferperiode einen personellen Umbruch. 10 Spieler verließen den Verein, 14 neue kamen. In anderen Ländern wird die Wintertransferperiode als ganz normale Transferzeit genutzt, auch wenn das für an deutsche Transfersitten gewöhnte Beobachtende merkwürdig erscheinen mag. Die Schlüsselverpflichtungen waren mit Alexandros Tziolis (32-jähriger europäischer Wandervogel, war auch mal an Werder Bremen ausgeliehen) als spielstarken Sechser und Anastasios Avlonitis als Innenverteidiger mit guter Spieleröffnung eher »un-schottische« Spielertypen. Ebenso wie der neue Mittelstürmer Isma, mit nur 1,84 kein typischer »Kopfball-Brecher« für hohe Flanken.

Die Ergebnisse sind, dem Umbruch entsprechend, recht wechselhaft. Es gab einige Auswärtspackungen (wie ein 0:4 bei Celtic), einige eher öde Unentschieden, und einen glorreichen 4:0-Heimsieg gegen New Rangers. Das ist an sich verzeihlich, man kann nicht während der Saison einen Umbruch herbeiführen und erwarten, dass alles gleich nach 2 Wochen bestens läuft…

Problem »Derby«

Aber wenn es eines gibt, was einem Hearts-Trainer besser nicht passieren sollte, dann ist das eine Niederlage im Edinburgh-Derby gegen den ewigen Rivalen aus dem Westen der Stadt, Hibernian. Genau das passierte. Die Hearts flogen Ende Februar gegen den Lokalrivalen aus der zweiten Liga und Pokalverteidiger mit 1:3 aus dem Scottish Cup, was Cathro dann die erste herbe Kritik aus den Reihen der bei Hearts durchaus kritischen Fans einbrachte, die Cathro dann an seine Spieler weiterreichte.

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Das Aus im Pokal befeuerte eine kleine Krise mit 6 sieglosen Spielen, die vor knapp 3 Wochen mit mit einem furiosen 4:0 gegen Hamilton Accies zu den Akten gelegt wurde. Skepsis machte sich breit, auf der Fansite »Maroonspecs« fragte man sich schon: »In the Cathroes of a Crisis?«. Und kam zu dem Schluss:

»What I believe it boils down to is a lack of mental fortitude in some players (to cope with adversity), a lack of ability in others (to execute Cathro’s preferred style) and their general lack of faith in each other as a unit. Of course, those problems are still largely the head coach’s responsibility and (although this campaign has been all but written off) those of us who have not yet written Ian Cathro off will be hoping he can use the time he has between now and next season to fully address them.«

Hearts unter Cathro – das »Team to watch« hinter Celtic

Rückschläge hin oder her, Hearts mit Ian Cathro ist eines der interessantesten Teams im schottischen Fußball. Bei Hearts entsteht etwas, und wenn man nach zukünftiger Konkurrenz für Celtic Ausschau hält, sollte man vielleicht eher nach Aberdeen und zu Hearts schauen als in Richtung der stets etwas großmäuligen New Rangers. Es könnte durchaus passieren, dass beide in der nächsten Spielzeit dauerhaft am mitteilungsfreudigen Ibrox-Klub vorbei ziehen. Was bei Aberdeen ja schon in dieser Saison der Fall ist. Bei Cathro muss man sehen, ob er trotz des Umbruchs Konstanz reinbringen wird und die Qualität der Spieler, die für einen Verein wie Hearts in der Scottish Premiership verfügbar sind, für ambitionierten »modernen« Ballbesitzfußball ausreicht.

Die Zeit dafür wird er bekommen. Ann Budge, die Mehrheitsbesitzerin des Klubs und der Sportdirektor Craig Levein, ehemals selbst Trainer und deshalb unter Verdacht der »eigentliche Trainer« bei Hearts zu sein, verfolgen einen langfristigen Plan zur Reetablierung in der Spitze beim 2014 in Insovenz und Abstieg gegangenen Traditionsklub. Dafür wird z.B. gerade die altehrwürdige Haupttribüne (siehe Bild ganz oben) abgerissen und durch einen Neubau erweitert. Den Neubau auf dem Rasen soll der »schottische Nagelsmann« hinbekommen…