Videobeweis: Da ist er endlich!

Ballkultur

»São Paulo - Consolação: Estádio do Pacaembu - Museu do Futebol« from Wally Gobetz on flickr, CC BY-NC-ND 2.0

Im Oktober 2015 hatte ich beschrieben, wie mich die Rugby-Weltmeisterschaft zum Befürworter des Videobeweis im Fußball gemacht hatte. Als ich gestern abend DAZN einschaltete, um das Freundschaftsspiel Frankreich vs Spanien anzuschauen, wurde dieses unerwarteterweise zu einem »Meilenstein« der Modernisierung der altmodischsten und konservativsten Sportart von allen. Denn der Videobeweis spielte eine Hauptrolle…

[Foto: »São Paulo - Consolação: Estádio do Pacaembu - Museu do Futebol« on flickr by Wally Gobetz, CC BY-NC-ND 2.0 thanks!]

Überraschung: IFAB und FIFA geben Gas!

Der Blogeintrag zum Thema Videobeweis im Oktober 2015 endete mit den wenig optimistischen Worten:

»Wird es ihn [den Videobeweis] je geben? Zweifelhaft, so verkrustet wie die Machtverhältnisse im Fußball sind…«

Doch das war eine Fehleinschätzung, keine anderthalb Jahre später haben die Regelhüter des IFAB und der FIFA den Videobeweis schon im »Beta-Test«.

Das IFAB führte im Sommer 2016 einen »Video Assistent Referee« (VAR) ein. Dieser »Videoassistent« beobachtet das Spiel am Schirm in einem TV-Wagen außerhalb des Stadions und meldet sich per Funk beim Schiedsrichter, wenn die TV-Bilder bei wichtigen Situationen (wie Elfmeter, Tor oder Platzverweis) eine Fehleinschätzung des Schiedsrichters nachweisen.

In der aktuellen Bundesliga-Saison läuft das System im Testbetrieb, was bedeutet, dass der Videoassistent zwar in seinem TV-Wagen sitzt, aber nicht in die laufenden Spiele eingreift.

Gelungener Beta-Test: Frankreich vs Spanien

Bei einigen Freundschaftsländerspielen wird das System aktuell im Spiel getestet. Aber gestern (28.3.2017, das Datum wird mal in den Fußball-Geschichtsbüchern stehen…) beim Spiel Frankreich vs Spanien kam es erstmals spielentscheidend zum Einsatz. Der vermeintliche Führungstreffer für Frankreich durch Antoine Griezmann wurde nach Intervention des Videoassistenten von Schiedsrichter Felix Zwayer wg. Abseits korrekterweise nicht gegeben. Später wurde noch der Elfmeter zu Spaniens 1:0 überprüft, ohne dass das jemandem groß auffiel. Und das 2:0 für Spanien wurde von Zwayer zunächst wg. Abseits nicht gegeben, auch hier griff der Videoassistent ein und korrigierte die potenzielle Fehlentscheidung.

Eindrucksvoller hätte man nicht empirisch belegen können, wie sinnvoll dieses System für den Fußball ist. Für das Schiedsrichterteam schwierig zu sehende Situationen konnten geklärt werden, und ein ungerechter Verlauf des Spiels (ein Abseitstor ist nun einmal kein reguläres Tor) wurde vermieden. Und keine der Entscheidungen dauerte länger als 40 Sekunden, obwohl das ganze Verfahren neu ist und allen Beteiligten noch die Routine darin fehlt. Da kann man nur sagen: Beta-Test vollständig gelungen.

Das sieht auch Schiedsrichter Zwayer lt. kicker-Artikel so:

»Wir sind dank des Videobeweises in allen Fällen zur richtigen Bewertung gelangt.«

Aber die Emotionen…

Man sollte denken, dass es keine zwei Meinungen darüber geben kann, dass ein solches Hilfsmittel sinnvoll ist. Aber da kennt man den konservativ-reaktionären Geist der »Fußball-Szene« schlecht. Es gibt wohl keine Sportart, bei der Aktive, Journos und Fans in solchen Mengen erst einmal grundsätzlich gegen alles Neue sind. Das war ja schon bei einer Petitesse wie dem Freistoßspray so.

So war natürlich in den Weiten von Social Media und Teilen der Journaille Skepsis zu lesen. Das Verfahren (also nach 30 Sekunden ist es doch kein Tor) würde »die Emotionen beim Torjubel stören« und sei daher abzulehnen, gab es da zu lesen…

Sie erlauben, dazu muss ich mal kurz ranten:

Start Rant…

Habt Ihr eigentlich noch alle Latten am Zaun? Die korrekte Beantwortung der Frage »Tor oder nicht Tor« ist das Essenzielle am Fußballsport. Sie entscheidet wer absteigt, sie entscheidet vielleicht, ob der HSV oder der KSC in der nächsten Saison in der Bundesliga spielen. Und ein technisches Hilfsmittel, das den Ablauf kaum verändert, aber für mehr Gerechtigkeit sorgt und das Risiko einer ungerechten (weil falschen) Entscheidung deutlich senkt, soll dann weggelassen werden, weil es den Jubel, die Emotionen und das ganze wir-geilen-Fans-auf-den-Rängen-Heiteitei vielleicht ein wenig stört? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Sollen die Andrösens und Kießlings mit ihren Nicht-Toren durchkommen? Weil es ja so schön ist, wenn im Stadion die Emotionen wabern und abgetakelte Sportjournos sonntagvormittags bei der Säuferrunde im TV über Fehlentscheidungen ach so herrlich emotional diskutieren können? Wenn Ihr so denkt, solltet Ihr mal überprüfen ob es überhaupt »Sport« ist, für das Ihr Euch interessiert…

Rant Ende…

Wie geht es weiter?

Der Videobeweis mit dem VAR soll erstaunlicherweise schon in der kommenden Bundesliga-Saison in den »Live-Betrieb« gehen.

Ein Problem bei dem im Fußball vorgesehenen Verfahren sehe ich übrigens auch. Denn im Gegensatz zum Eishockey oder Rugby schaut sich nicht der verantwortliche Schiedsrichter die Szene auf dem Schirm an, sondern der Videoassistent. Auf den muss sich der verantwortliche »richtige« Schiedsrichter nicht nur verlassen, sondern der wandert dann auch langsam aber sicher in eine »Oberschiedsrichter-Rolle« hinein, die das Wesen der Fußball-Schiedsrichterei schleichend verändern könnte. Ein Bildschirm am Spielfeldrand, auf dem der Schiri sich die fragliche Szene auch anschaut, wäre da in meinen Augen die bessere Lösung. Auch wenn die Überprüfung dann die eine oder andere Minute länger dauern würde…

Grundsätzlich ist es aber allerhöchste Zeit, den Weg der im Fußball so beliebten »Emotionen- und Thekendebatten-Philosophie« zu verlassen und für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Das war überfällig, und da darf man IFAB und FIFA sogar einmal Applaus dafür spenden, dass sie das Ganze in (für ihre Verhältnisse) relativ kurzer Zeit umgesetzt haben…