West-Berliner Traditions-Groundhopp: Tennis Borussia Berlin vs SV Lichtenberg 47 1:1 – 23.9.2016
Es begab sich, dass Team Ballreiter in Berlin weilte. Aus dem reichhaltigen Berliner Fußballangebot passte das Spitzenspiel der NOFV-Oberliga Nord zwischen dem alten West-Berliner Traditionsklub Tennis Borussia und dem Nordberliner ex-DDR-Klub Lichtenberg 47 ins Programm, zumal mit dem Mommsenstadion auch ein neuer Ground lockte…
Tennis Borussia Berlin
Tennis Borussia Berlin, genannt »TeBe«, ist ein 1902 als Tennis-Klub gegründeter Traditionsverein aus Berlin-Charlottenburg. Seit 1903 wird bei TeBe auch Fußball gespielt. In der Weimarer Republik schwang sich TeBe zum Hauptkonkurrenten der Hertha auf und nahm viermal an der Endrunde zur Deutschen Fußballmeisterschaft teil, ohne jedoch über das Viertelfinale hinaus zu kommen. Damals spielte auch der spätere Reichs- und Bundestrainer Sepp Herberger für TeBe.
Als 1963 die Bundesliga gegründet wurde, spielte TeBe in der damaligen zweiten Spielklasse, der Regionalliga. Hertha und die für ihre Bundesliga-Negativmarken legendäre Tasmania waren die führenden Teams in Berlin. Mitte der 70er gelang dann für zwei Spielzeiten (74/75 und 76/77) der Sprung in die Bundesliga.
Von 1965 bis 1973 war der berühmte Showmaster Hans Rosenthal Präsident von TeBe. Außerdem gründete er eine »Promi-Mannschaft«, die noch heute als »Hans-Rosenthal-Team« Wohltätigkeitsspiele bestreitet.
Nach der Einführung der eingleisigen Zweiten Bundesliga verschwand TeBe in der damals drittklassigen Oberliga Berlin und kickte so vor sich hin. Dann aber fiel die Mauer.
Und TeBe sollte wieder eine Macht im Fußball werden. Nicht nur im Berliner, nein im deutschen und europäischen. 1992 wurde der Schlagerproduzent Jack White Präsident und Mäzen, mehr als eine Saison Zweite Liga sprang aber dabei nicht heraus.
Nach 1996 war TeBe dann seiner Zeit voraus. Die obskure »Göttinger Gruppe«, ein »Finanzdienstleister«, übernahm den Verein und wollte TeBe mit einem neuartigen Investorenmodell nicht nur in die Bundesliga, sondern auch in den Europapokal führen. Und ein neues Stadion bauen. Dazu gründeten sie eine »Fußballmarketing- und Investitions AG Tennis Borussia Berlin«, an der man Anteile mit einer zehnjährigen Laufzeit erwerben konnte. Plötzlich war TeBe neureich und erlebte bei Auswärtsspielen in der Regionalliga Nordost genau das, was dann einige Jahre später RB Leipzig erleben sollte. Den sportlichen Erfolg sollte als Trainer Winfried Schäfer sicherstellen, der nach dem Aufstieg in die Zweite Bundesliga 1998 verpflichtet wurde. Schäfer stellte die damals teuerste Zweitligamannschaft aller Zeiten zusammen und scheiterte grandios, haarscharf wurde der Klassenerhalt geschafft…
Zum Ende der Saison 2000 folgte der große Knall: Da die »Göttinger Gruppe« mittlerweile finanziell ins Schlingern geraten war, forderte der DFB eine Bürgschaft, die nicht erbracht werden konnte. TeBe stieg in die Regionalliga Nord ab und begann eine Abwärtsfahrt bis in die sechstklassige Berlin-Liga. Die TeBe-Geschichte ist ein Beispiel für das Risiko, das ein Verein mit »Investoren« eingehen kann, wenn man sich den Falschen aussucht…
In der sechsten Liga entwickelte sich TeBe neu und ist heute ein Verein mit einem kleinen aber feinen Publikum. Eine Mischung von aus West-Berliner Zeiten übrig gebliebenen Stadion-Rentnern und einer »alternativ« angehauchten Fanszene findet sich zu den Heimspielen im Mommsenstadion ein. 2015 gelang der Aufstieg in die fünftklassige NOFV-Oberliga Nord, die TeBe als Tabellen-Vierter abschloss.
Einige Links zur jüngeren Geschichte von TeBe:
- Tagesspiegel – Tennis Borussia: Die Bescheidenheit nach dem Größenwahn
- 11Freunde – Immer den Bach runter
- Spiegel von 1998: »Mit einem fragwürdigen Finanzierungsmodell strebt Tennis Borussia Berlin in den Profi-Fußball.«
- Der Panenka – Tennis Borussia – Neuanfang eines Traditionsvereins
Mommsenstadion
TeBe spielt seit Ende des Zweiten Weltkriegs im nach dem Historiker Theodor Mommsen benannten Mommsenstadion. Dieses Stadion war ursprünglich der Ground des Lokalrivalens SC Charlottenburg, nach einem Ausbau in der 30er-Jahren ging das Stadion in städtischen Besitz über.
Zu Bundesliga-Zeiten zog TeBe das eine oder andere Mal ins Olympiastadion um, ansonsten spielten die Lila-Weißen aber all die Jahre und Ligen hindurch im Mommsenstadion. Dieses wirkt heute mit seiner (funktionsfähigen) Leichtathletikanlage ein wenig aus der Zeit gefallen. Die Anlagen in der Haupttribüne versprühen einen Retro-Charme aus der West-Berliner Zeit der alten Bundesrepublik.
Wie fast alle älteren Stadien ist die ursprüngliche Kapazität von 37.000 Zuschauenden in der 30er-Jahren mittlerweile aus Sicherheitsgründen auf 11.500 reduziert. Aber es ist natürlich trotzdem für die Oberliga hochgradig überdimensioniert, 641 Zuschauende sahen das Topspiel gegen Lichtenberg…
SV Lichtenberg 47
Der Gegner SV Lichtenberg 47 ist ein 1947 gegründeter Verein, der zu DDR-Zeiten als Fahrstuhlmannschaft zwischen zweiter und vierter Liga unterwegs war. Seit der Wende ist Lichtenberg 47 zwischen Verbandsliga und Oberliga unterwegs, seit 2012 hält sich der Verein in der NOFV-Oberliga. In diese Saison ist Lichtenberg hervorragend gestartet und war vor dem Spiel Tabellenführer der NOFV-Oberliga Nord.
Matchday
Nach einem kurzen Fußweg von der U-Bahnstadion »Messe-Süd« erreicht man das Mommsenstadion. Mit 8 Euro Einheitspreis ist man dabei. »Aus Vereinsgeschichte und Selbstverständnis heraus hat sich bei TeBe ein außerordentliches Engagement für Toleranz und Weltoffenheit entwickelt«, so heißt es auf TeBes Website. Das lockte in den finsteren Zeiten der unteren Ligen eine bunte Fanszene an, was sich wohltuend auf die Atmosphäre im Stadion auswirkt. Und auf die »Versorgung«. Bei einem Oberligisten findet man nicht alle Tage vegetarische Bratwürste und vegane Bratlinge im Angebot.
Die Hauptsache war aber natürlich der Sport auf dem Rasen. Wie oben erwähnt, Lichtenberg kam als Tabellenführer der NOFV-Oberliga Nord ins Mommsenstadion und traf auf den zwei Punkte dahinter liegenden Viertplatzierten TeBe.
Vor Spielbeginn gab es zunächst eine Gedenkminute für die kürzlich verstorbene Vereinslegende Dietlinde, die vom Fanblock auf einem großen Banner in Ehren gehalten wurde.
Dann ging es los auf dem Rasen. Es gab eine spannende und offene Oberliga-Partie zu sehen, in der 35. Minute ging mit TeBe das aktivere Team in Führung. Nach Vorarbeit des »prominentesten« TeBe-Kickers, dem ehemaligen Wiesbadener und Osnabrücker Zweitligakicker Benjamin Siegert (der mit seinen 35 Jahren eine starke Partie spielte), vollendete Rifat Gelici zum 1:0.
Wenn ein Tor für TeBe fällt, wird das per Lautsprecher und auf der Anzeigetafel mit dem berühmten Hans-Rosenthal-Sprung »Wir sind der Meinung das war Spitze« aus der Sendung »Dalli Dalli« zelebriert. Putzig, der West-Berliner Charme der alten Bundesrepublik, er lebt…
In der zweiten Hälfte hatte TeBe viele Chancen, das Tor machte aber kurz vor Schluss, in der 89. Minute, der Gast aus Lichtenberg. Und das nach einem TeBe-Eigentor. Danach wurde es kurios. Die Lichtenberger bejubelten ihren Ausgleich direkt vor dem TeBe-Fanblock, was den zuschauenden ballreiter etwas überraschte und zu diesem leicht verwackelten Bild führte. Aber man erahnt, was los war. Den Jubel quittierten die TeBe-Fans mit ein paar Bierbechern. Die Lichtenberger ließen sich davon zu einigen Gesten Richtung Publikum hinreißen, was wiederum dem Schiri Albert nicht gefiel und der deshalb Lichtenbergs Mittelstürmer Brechler wg. Unsportlichkeit mit Gelb-Rot vom Platz schickte…
Der Schiedsrichter führte es auch kurios zu Ende. Während der zweiminütigen Nachspielzeit lag der Lichtenberger Torhüter Vicentin minutenlang auf dem Boden und ließ sich behandeln, was Schiri Albert offensichtlich so nervte, dass er einfach während der Behandlung abpfiff…
Fazit: Ein recht ansehnliches Spiel, ein altehrwürdiger denkmalgeschützter Ground mit einer guten Atmosphäre. TeBe ist zu wünschen, dass sie nach ihrer bitteren jahrelangen Talfahrt nach den Investoren-Fußball-Experimenten vielleicht wenigstens in die Regionalliga zurückkehren können.