»Yo me voy al Manzanares, al estadio Vicente Calderón…«: Atlético de Madrid vs Rayo Vallecano 3:0 – 14.1.2016
Neues Jahr, neue Groundhopps! Dieses Mal ging es nach Madrid, wo durch eine glückliche Fügung der Spielpläne die Möglichkeit bestand, die beiden örtlichen Großklubs im Rahmen eines Wochenendtrips zu besuchen. Donnerstag abend stand das Rückspiel im spanischen Pokal, dem »Copa del Rey«, zwischen unseren Lieblingsspaniern Atlético de Madrid (»Atléti«) und dem kleinen Madrider Stadtteilklub Rayo Vallecano auf dem Programm. Also ging es, genau wie es die Vereinshymne anordnet, an den Manzanares, ins Stadion »Vicente Calderón«…
Estadio Vicente Calderón
Im Großraum Madrid ist in Sachen Fußball ordentlich was los. Neben den Großklubs Real und Atléti gibt es noch den Stadtteilverein Rayo Vallecano und den Vorortklub FC Getafe in der ersten Liga Spaniens. Das Stadion von Atlético, nach dem ehemaligen Vereinspräsidenten Vicente Calderón benannt, steht an einer Biegung des kleinen Flusses Rio Manzanares, der sich durch Madrid schlängelt, an einer Straße mit dem für einen Fußballklub geradezu perfekten Namen »Paseo de los Melancólicos« inmitten der Stadt.
Es empfiehlt sich, bei einer Groundhopptour nach Madrid das Stadion vorher schon bei Tageslicht zu besuchen, es liegt wirklich malerisch an dem kleinen Fluss und hat ein sehenswertes Vereinsmuseum zu bieten, das man für 6 Euro Eintritt besuchen kann. Es gibt dort reichlich Pokale und Trikots aus der Historie Atlétis zu bestaunen.
Etwas skurril und wohl einmalig: Unter der Haupttribüne führt eine Stadtautobahn hindurch (siehe Bilder oben).
Leider wird die Zeit dieses großartigen Stadions (wahrscheinlich, in Spanien weiß man das nie so genau) 2017 ablaufen, wenn Atléti das Vicente Calderón verlässt und in das umgebaute Estadio Olímpico de Madrid umziehen soll. Damit macht man den gleichen Fehler wie bei den deutschen Stadionneubauten der letzten Jahre: Das neue Stadion steht draußen »in der Pampa«, am Rande des Nirgendwo. Anscheinend kann man keine Stadien mehr in der Stadt bauen, wo sie hingehören. Das neue Stadion sieht auch noch nicht übermäßig fertig aus, ganz zu schweigen von der Infrastruktur in der Umgebung. Ein Umzug im Sommer 2017 erscheint nach Augenschein daher ziemlich ambitioniert…
Atlético de Madrid
Atléti hat, seit Ex-Spieler und Vereinslegende Diego »Cholo« Simeone Ende 2011 den Trainerposten übernahm, als dritte Kraft den ewigen spanischen Meisterkampf zwischen Barça und Real Madrid gesprengt. Der Pokalsieg 2013, die Meisterschaft 2014 und das unglücklich verlorene Champions-League-Finale 2014 dürften noch allerseits in guter Erinnerung sein. Und aktuell ist Atléti auch wieder Tabellenführer in La Liga.
Atlético hat, ähnlich wie der Lokalrivale Real, eine wechselvolle Geschichte mit der Verstrickung in die Abgründe des Franco-Regimes zu bieten und sorgte seit den späten 80ern unter der Präsidentschaft des exzentrischen Jesús Gil y Gil europaweit für Schlagzeilen. Diese endete mit dem Abstieg in die Zweitklassigkeit im Jahre 2000 (übrigens maßgeblich vom heutigen Leicester-Erfolgstrainer Claudio Ranieri eingeleitet). Bis zur Ära Simenone dümpelte Atléti nach dem Wiederaufstieg als »heruntergekommener Traditionsverein« in der Liga herum.
Rayo Vallecano
Der kleine Klub Rayo Vallecano aus dem Stadtteil Vallecas ist eine Art »St. Pauli von Madrid« mit einer links-alternativen Fanszene. Bekannt wurden sie im Sommer mit ihrem Regenbogentrikot, dass sie beim Spiel auch prompt trugen.
Rayo ist ein kleiner Kultklub der »Fußballtaktik-Hipster« bei spielverlagerung.de, weil es 2013 ein Spiel gab bei dem Rayo als erster Klub seit der Saison 06/07 in einem Spiel gegen Barça mehr Ballbesitz hatte als die katalanische Tiki-Taka-Maschine. Trainer Paco Jémez gilt als »Taktikfuchs« dem jedes Jahr, trotz eines permanenten Personalwechsels in seiner Mannschaft mit Horden von Leihspielern, wieder eine Lösung einfällt um Rayo in der ersten Liga zu halten. Und der ebenso jedes Jahr ein Aspirant auf einen Trainerposten bei einem »besseren« Klub ist. Dieses Jahr scheint es aber für Rayo schwer zu werden, aktuell liegen sie auf dem drittletzten Platz in der Tabelle mitten im Abstiegskampf. Ihr Problem ist der Angriff, was sich auch im Pokalspiel wieder zeigte.
Matchday
Donnerstag abend, 21:00, Copa und Flutlicht. Nach dem 1:1 im Hinspiel (in Spanien wird der Pokal in Hin- und Rückspiel ausgetragen) musste Atléti noch ein wenig arbeiten, um in die nächste Runde zu kommen. Immerhin 28.000 Zuschauer (55.000 gehen hinein) fanden sich im Calderón ein.
Das Stadion präsentierte sich in der abendlichen Flutlichtatmosphäre durchaus stimmungsvoll, aber von innen auch ein wenig heruntergekommenen. Einige Stufen machen schon einen leicht zerbröselten Eindruck, und aus manchen Sitzen wächst ein wenig Gras…
Im Stadion gibt es, wie in Spanien üblich, kein richtiges Bier. Das muss man sich vor und nach dem Spiel auf der anderen Straßenseite in einer der am Spieltag geöffneten Kneipen rund um das Stadion besorgen. Nicht zuletzt deshalb füllt sich das Stadion erst in den letzten Minuten vor dem Spiel.
Pünktlich zum Anpfiff sind dann aber auch innerhalb weniger Minuten plötzlich alle da, das ist immer wieder erstaunlich zu beobachten.
Spanien hat eine 20er-Liga, den Pokal mit Hin- und Rückspiel und keine Winterpause. Dementsprechend rotieren die Trainer in den Pokalspielen ein wenig. Dummerweise ließ Simeone aber ausgerechnet des ballreiters liebste Atléti-Kicker Gabi und Antoine Griezmann auf der Bank sitzen. Für Rayo sollte es wohl auch ohne die beiden reichen…
Es entwickelte sich eine zähe Partie. Atléti tat sich schwer, durch die gut verteidigten Reihen Rayos zu kommmen. Rayo entwickelte andererseits praktisch keine Torgefahr, es gab nur einen guten Torschuss für Rayo in der gesamten ersten Halbzeit. Was zugegebenermaßen auch nicht einfach ist, Atlétis Defensive (nur 8 Gegentoren nach 20 Spieltagen) ist das Beste, was La Liga derzeit zu bieten hat. Atléti entwickelte auch nicht den unbedingten Druck auf das Tor. Sie kamen zwar immer mal wieder vor das Tor von Rayo, das Ergebnis waren aber nur ein paar Ecken ohne richtige Torgefahr.
Apropos Ecken. Auf dem Foto (unten links) und bei den TV-Übertragungen sieht man an der Eckfahne rechts hinten (vom TV-Bild aus gesehen) immer einen Blumenstrauß liegen. Der liegt dort (bei jedem Spiel) zu Ehren von Milinko Pantic. Dieser spielte von 1995 bis 1998 107mal für Atléti und war ein ausgesprochener Spezialist für Freistöße und Eckbälle, was ihn in der Saison 1996/97 zum Torschützenkönig in der Champions League machte. Das hat man nicht vergessen, und so legt Pantic zu Ehren stets irgendwer einen Blumenstrauß an diese Eckfahne…
Zurück zum Spiel, erst in der 40. Minute gelang Atléti nach einem strammen Schuss von Angél Correa das 1:0. Damit ging es in die Halbzeit.
Bei Atléti ist es im Stadion durchaus lebhafter als bei Barça oder Real. Es gibt zwar keinen Dauer-Support-Gesang wie in Deutschland, aber es werden immer wieder Lieder angestimmt, Schals geschwenkt und Spieler (und natürlich Coach Simeone) gefeiert. Und das Publikum besteht aus bodenständigen »normalen« Leuten. Das zeigte sich auch in der Halbzeitpause, als plötzlich fast alle ein Päckchen mit Alufolie auspackten, das ihr Pausenbrot enthielt. Sowas sieht man in deutschen Stadien selten. Höchstwahrscheinlich würde es einem in einem deutschen Stadion sowieso als »gefährlicher Gegenstand« bei der Eingangskontrolle abgenommen…
Als die Pausenbrote aufgegessen waren, wurde weiter Fußball gespielt. Atléti wurde stärker, versiebte aber viele Chancen. Insbesondere Millioneneinkauf Jackson Martinez, vor der Saison als Nachfolger von Mario Mandzukic vom letztjährigen CL-Viertelfinalist FC Porto an den Manzanares gewechselt, agierte (wie schon die ganze Saison) im Torabschluss unglücklich.
In der 70. Minute brachte Simeone dann endlich Antoine Griezmann ins Spiel. Der schoss auch prompt das 2:0, in der 80. Minute nach einer Ecke mit dem Rücken zum Tor! »Antoine Griezmann«-Sprechchöre waren das Ergebnis. Was der Startschuss zu einer veritablen Schlussoffensive wurde, die in der 91. Minute durch ein weiteres schönes Tor von Griezmann nach einem langen Pass in die Spitze beendet wurde.
3:0, eine Runde weiter im Pokal! Das Stadion tobte einmal kurz und heftig, das Team applaudierte einmal kurz ins Publikum und kurz drauf waren alle genau so schnell wieder verschwunden, wie sie kurz vor Anpfiff im Stadion auftauchten…
Fazit
Seit es spanischen Fußball in laola1.tv zu sehen gibt, entwickelte der ballreiter Sympathien für Atléti (von den glorreichen Höhenflügen bis ins CL-Endspiel konnte damals allerdings noch niemand etwas ahnen) und erfreute sich an der im TV zumeist prächtig herüberkommenden Atmosphäre im Calderón. So war der Live-Besuch im Stadium so etwas wie ein realisierter »Stadion-Traum«. Das Stadion sieht zwar teilweise etwas mitgenommen aus, wie viele solcher Stadien versprüht es aber den Charme des »echten« Fußballs mit seiner Lage mitten im Leben von Madrid. Da im Calderón (siehe oben) wahrscheinlich nicht mehr lange gespielt wird, kann ich allen »Groundhoppenden« einen Besuch dort nur empfehlen, bevor diese große Stätte des Fußballs von Baggern niedergemacht wird…