Pro Videobeweis, oder: Vom Rugby lernen heißt Gerechtigkeit lernen!

Ballkultur

[Foto: »Wales attack Scotland« von Marc, CC BY-NC-ND 2.0 thanks!]

»Der Rugby World Cup veränderte mein Leben!1!11!!!«

So würde man bei Heftig oder Buzzfeed schreiben. Denn bislang war ich ein Gegner jeglicher Technisierung der Schiedsrichterei des Fußballs, hielt »Videobeweis« und Co. für neumodisches Teufelszeug. Meine Horrorvision war ein durch ständige Unterbrechungen und Entscheidungsfindungen endlos in die Länge gezogenes Spiel, in das man dann, wenn man eh ständig unterbricht, auch gleich schön Werbepausen einbauen kann. Und schon wären wir Verhältnissen wie im American Football nahe.

Nun kam aber der Rugby World Cup mit den großartigen Übertragungen in Eurosport und die Rugby-Schiedsrichterei mit dem »TMO«. Und hat mein Leben verändert mich überzeugt.

TMO – »Television Match Officials«

Wer kein Rugby angeschaut hat: Bei der Rugby-WM gibt es offizielle Schiedsrichterassistenten, die vor einem Bildschirm sitzen und mit Hilfe der TV-Bilder für Aufklärung in unübersichtlichen Situationen sorgen: Die »Television Match Officials«, kurz »TMO«.

Sie kommen in genau definierten Fragestellungen zum Einsatz, nämlich:

  • Versuch (engl. Try, das was im Football Touchdown heisst und Ziel des Spiels im Rugby ist) oder kein Versuch?
  • Ist ein Kick zwischen den Stangen (also »drin«) oder nicht?
  • Gab es einen Regelverstoß in den letzten zwei Phasen vor einem Versuch?
  • Foul-Spiel oder nicht?

Die entsprechenden Szenen werden dem Schiedsrichter auf der Leinwand im Stadion eingespielt und die TMO schauen es sich ebenfalls an. Zusätzlich trägt der Schiedsrichter ein Mikrofon, so dass die Zuschauenden transparent dem Entscheidungsprozess, also dem Dialog zwischen Schiedsrichter und TMO, folgen können. Das geht erstaunlich schnell über die Bühne, ohne das Spiel groß zu verzögern, und führt durch die Transparenz zu Entscheidungen, die von den Spielern ohne große Meckereien akzeptiert werden.

So sieht zeitgemäße Schiedsrichterei im Profisport aus, das hat mich überzeugt und zu der Erkenntnis gebracht:

Der Fußball braucht den »Videobeweis«!

Die Unprofessionalität des Fußballs

Gegen die gut funktionierende technisierte Rugby-Schiedsrichterei wirkt der Profi-Fußball verdammt antiquiert. Maßnahmen wie die enorm teure Torlinientechnik, oder gar die fünften und sechsten Schiedsrichter neben dem Tor bei Spielen unter der Hoheit der UEFA, sind hilflose Versuche, Modernität bei der Entscheidungsfindung einzuführen, ohne irgendetwas wirklich zu modernisieren.

Gerade die Torlinientechnik ist in meinen Augen eine groteske Geldverschwendung. Denn wie oft in einer Saison gibt es denn eine Frage »Tor oder kein Tor«, die nicht mit der Ansicht verschiedener Kameraperspektiven genauso gut aufgeklärt werden könnte?

Dazu kommt eine gefühlt galoppierend zunehmende Zahl von Fehlentscheidungen. In den letzten Monaten alleine war von der (für Karlsruhe äußerst schmerzlichen) Freistoß-Fehlentscheidung im Relegationsspiel KSC vs HSV bis zum grotesken Fehlentscheidungs-Festival in der Bundesliga am letzten Sonntag, bei dem gleich zwei Spiele durch ein klares Handspiel bzw. ein klares Abseitstor entschieden wurden, alles dabei.

Anschließend, nachdem der Schiri auch TV schauen durfte, stellt der sich dann hin und gesteht die Fehlentscheidung ein. Wovon man die durch die Fehlentscheidung verlorenen Punkte (oder den Aufstieg in die Bundesliga) auch nicht wieder bekommt. Das ist ungerecht.

Deshalb:

Pro Videobeweis!

Der Fußball sollte vom Rugby lernen (schließlich haben beide Spiele gemeinsame Wurzeln) und Videoassistenten nach Vorbild der Rugby-TMO einführen.

Der Plan: Der Vierte Offizielle und die Torlinientechnik werden abgeschafft und durch einen irgendwo am Spielfeldrand vor einem großen Bildschirm hockenden »Video-Assistenten« ersetzt. Passiert nun eine knifflige uneindeutige Situation, die der Schiedsrichter mit gewisser Wahrscheinlichkeit falsch eingeschätzt hat, so macht der Video-Assistent den Schiri schnell per Headset darauf aufmerksam. Bevor das Spiel fortgesetzt wird, läuft der Schiedsrichter daraufhin mit seinen Assistenten zum Bildschirm, schaut sich das an, berät sich ggf. mit seinen drei Assistenten und fällt dann die Entscheidung. Und erläutert diese per Mikro für alle Beteiligten.

Wie beim Rugby World Cup zu sehen: Die Verzögerungen wären minimal. Im Fußball gibt es eh ständig Unterbrechungen und die Spielzeit läuft heutzutage sowieso in Richtung 94 bis 99 Minuten. Es wäre für mehr Gerechtigkeit gesorgt, die kniffligen Entscheidungen würden leichter von Zuschauern und Spielern akzeptiert, und die Schiedsrichter auf dem Rasen hätten nach wie vor das letzte Wort. Die Technik wäre nur eine Hilfe für sie, keine Bevormundung.

Zusätzlich bräuchten wir eine Änderung der Reklamier- und Motz-Mentalität im Fußball, die für eine Übergangszeit wahrscheinlich nur durch Strafen erreicht werden kann. Wenn der Trainer zweimal den Videoassistenten anquatscht – zack, auf die Tribüne. Dreimal auf die Tribüne – zack, ein Spiel Sperre. Diese von Trainern wie Klopp demonstrativ zur Schau gestellte »der vierte Offizielle hat mir DIESE Entscheidung aber jetzt gefälligst mal zu erklären«-Mentalität müsste sich ebenso wandeln wie die für »normale« Menschen kaum mehr nachvollziehbaren Fairness-Vorstellungen der Spieler. Andrösen und Kießling, sage ich nur…

Man müsste natürlich (wie beim Rugby) dieses Werkzeug auf bestimmte Entscheidungen beschränken, es soll ja nicht jedes Abseits oder jeder Einwurf per Video aufgelärt werden. Und selbstverständlich wird es weiterhin Fehlentscheidungen geben. Es wird immer Situationen geben, die auch im TV-Bild nicht eindeutig sind. Beim Rugby World Cup schied Schottland im Viertelfinale übrigens durch eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters aus…

Nichts ist halt perfekt. Damit wäre dann auch weiterhin für die »das Schöne am Fußball ist doch an der Theke über solche Entscheidungen zu diskutieren«-Traditionalisten-Fraktion gesorgt…

Aber es gäbe einen deutlichen Zuwachs an Gerechtigkeit ohne übermäßigen Aufwand. Es kann doch nicht gerecht sein, dass man wie Andrösen mit einem offensichtlich regelwidrigen Handtor davon kommt, weil das halt so sein muss im Fußball. Das Wesen des Spiels an sich, nämlich 22 Leute kicken und einer entscheidet, bliebe trotzdem unangetastet. Und der Schiedsrichter stünde nach solchen Dingen (oder dem Kießling-Nicht-Tor, damals in Hoffenheim, das Loch im Tornetz) nicht mehr wie ein Trottel da.

Ein Zeitungsschreiber aus Britannien kommt zu einem ähnlichen Schluss:

»It is a fair point to make that a referee cannot see every minute detail regarding the movement of one leg towards another without the help of a better angle. So why not help him out with the use of technology? If divers know they’ll be spotted, they’ll stop. If players know the right decision will be made, they will show respect. That’s how it works in tennis, rugby, American football; the whole lot, apart from football.«

So ist es! Also, altehrwürdiges International Football Association Board: Es ist Zeit für mehr Professionalität. Wir brauchen TMO im Fußball!

Eine Debatte über den Videobeweis hat das Desaster vom letzten Sonntag zumindest (wie immer nach solchen Fehlentscheidungen) angeregt. Wird es ihn je geben? Zweifelhaft, so verkrustet wie die Machtverhältnisse im Fußball sind…