Deadlinedaygeschwängerte Kulturpessimismusattacken

Ballkultur

Bild: Aufkleber mit dem Text: Glotze aus, Stadion an

Der (für deutsche Verhältnisse) dieses Mal recht ausufernd genutzte »Deadline-Day«, also der letzte Tag der sommerlichen Transferperiode, hat nicht nur einige teure Spielerwechsel mit erstaunlichen Ablösen gebracht, sondern auch eine publizierte Flut von kulturpessimistischen Betrachtungen über die Schlechtigkeit des Profifußballs als solchen.

So schreibt Peter Ahrens in SpOn unter der Überschrift »Nur der Irrsinn hat keine Deadline«:

»Vielleicht hat noch nie ein Tag so deutlich gemacht, was Profifußball ist, wie dieser letzte Tag des Transfergeschäfts.«

Und Dirk Gieselmann sieht bei 11Freunde die Liga ihre Identität verlieren:

»Wenn Lokalhelden wie Schweinsteiger, Draxler, Großkreutz jetzt auch noch verschwinden, die letzten Stifter regionaler Identität in Vereinen, die sich radikal aus den Landstrichen, aus denen sie stammen, hinfortglobalisieren, hinein in die wachsenden asiatischen Märkte – was bleibt denn dann eigentlich noch übrig?«

Kann man so sehen. Aber so ist der globalisierte TV-Fußball doch schon seit geraumer Zeit! Als ob sich durch die, zugegebenermaßen in der Form in Deutschland bislang unbekannte, TV-Eventisierung des »Deadline-Day« daran irgendetwas verändert hätte. Es sind höchstens ein paar Summen größer geworden.

Und wieso soll das kickende Personal des BVB aus Dortmund und Umgebung stammen, wenn ein Großteil der Fans Fernsehkonsumenten aus dem ganzen Land, aus ganz Europa, aus der ganzen Welt sind? Soll ein Draxler sich sagen: »Oh großartig, ich stifte hier bei S04 regionale Identität, dann wechsel ich natürlich nicht, sondern bleibe lieber bei dem eher so mittel geführten Klub, der alljährlich seinen Trainer wechselt und meiner Entwicklung offensichtlich nicht gut tut«?

TV und Internet haben den globalisierten Spitzenfußball sowieso längst von seinen regionalen Wurzeln entkoppelt. Profifußballmannschaften, bis hinunter in die Regionalliga, sind aus aller Herren Länder und Regionen zusammengestellte Teams. Außer vielleicht beim Athletic Club aus Bilbao. Und es ist im Grunde auch völlig egal. Tor ist Tor, egal ob der Stürmer guineischer Franzose ist oder aus Kleinenbroich stammt…

Und was heisst schon »Stifter der regionalen Identität«? Als diese sind sie doch nur wichtig, wenn der Spieler gut und sein Verkauf ein sportlicher Verlust ist. Wenn er »die Leistung nicht mehr bringt«, ist die »regionale Identität« auch dem größten Traditionalisten in der Kurve plötzlich nicht mehr so wichtig, egal wie viele Jahre der Spieler im Verein war. Fragen Sie dazu bitte bei Kevin Großkreutz oder bei Tobias Levels nach…

Eine leicht widersprüchliche Komponente kann man dieser aufflammenden Debatte nicht absprechen. Denn der ganze Transfer-Wahnsinn produziert natürlich auch Verlierer, unglücklicherweise ausgerechnet in Mönchengladbach. Da kann einem dann schon mal kulturpessimistisch zumute werden…

Peter Unfried stellt in der taz trocken fest, wie es im Profifußball 2015 nun einmal ist:

»Spitzenfußball wird allen romantischen oder kalkulierten Lügen zum Trotz längst nicht mehr primär für Stadionbesucher und identitär-räumlich damit verknüpfte Menschen gespielt. […] Er ist eine globale Unterhaltungsindustrie mit vielen angeschlossenen Geschäftsbereichen, die primär Sendezeit zu füllen hat, Geschichten zu produzieren und Sehnsüchte zu stimulieren, die das Geschäft derjenigen ankurbeln, die bezahlen. Der ›Wahnsinn‹, also der Gigantismus, ist Teil der Geschäftsgrundlage.«